Warum ich aufgehört habe, Coach zu sein, um Facilitator zu werden (und wie das die Bildung junger Menschen transformiert)
- Daniel Lucio
- 10. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Juli
Bis vor wenigen Monaten nannte ich mich Coach oder Personal- und Organisationsberater:in. Heute bin ich einfach "Prozess-Facilitator".
Aber Coaches sind jetzt nötiger denn je! Meiner Ansicht nach ist genau das Gegenteil der Fall.
Das war die größte Epiphanie meiner Laufbahn und endlich fühle ich mich am richtigen Platz. Denn ich entdeckte etwas, das meine Art zu arbeiten völlig veränderte: Sie brauchen nicht, dass ich ihnen sage, was sie tun sollen. Sie brauchen meine Begleitung dabei, selbst die Lösungen zu entdecken, die für sie am besten funktionieren – entsprechend ihrem Kontext, ihrer subjektiven/organisationalen Art zu sein und die Welt zu sehen. 💡
Eine einstündige Sitzung oder ein eintägiger Workshop wird niemals die subjektive Erfahrung einer Person ersetzen. Das nennt Paulo Freire "die Realität der Lernenden" – die Verwendung ihres Kontexts und ihrer Erfahrungen als Ausgangspunkt.
Und das ist nicht nur schöne Philosophie. Es ist die wissenschaftliche Grundlage dafür, wie wir der Evolution der Jugendbildung mit Reconnect - Schulen einen Impuls geben. 🎯
Die große Frage, die alles veränderte
Bei Reconnect stellten wir uns zusammen mit Büsra (Strategin und Co-Leiterin) und Julie (unsere Psychologie-Forscherin) eine scheinbar unlösbare Frage:
"Wenn jede Person anders ist und unterschiedliche aktuelle Bedürfnisse hat, wie schaffen wir es, dass jede:r Schüler:in in nur 2 Stunden Unterricht das bekommt, was sie braucht, ohne dass der:die Facilitator:in verrückt wird?" 🤔
Die traditionelle Antwort wäre: "Unmöglich. Man müsste den Unterricht für jede:n personalisieren. Man braucht kleine Gruppen, Einzelsitzungen, mehr Zeit, mehr Ressourcen, etc."
Nach mehreren Reflexionen und persönlichen Anekdoten darüber, wie wir in unserem Leben am besten gelernt haben, war unsere Antwort anders: "Was wäre, wenn jede:r Schüler:in zum:zur Designer:in seines eigenen Lernens wird, entsprechend dem, was er:sie in diesem Moment lösen möchte, und nur Begleitung von einem:einer Facilitator:in erhält?" Das würde auch helfen, die Arbeitsbelastung der Lehrer:innen zu erleichtern und nachhaltige Ergebnisse bei den Schüler:innen zu generieren. ✨
Die Wissenschaft hinter dem Wandel
Edward Deci und Richard Ryans Forschung zur Selbstbestimmungstheorie zeigt, dass intrinsische Motivation aktiviert wird, wenn Menschen Autonomie, Kompetenz und Verbindung erleben. Wenn jemand anderes deinen Lernprozess gestaltet, reduzierst du automatisch diese drei Elemente. Das ist in den meisten Schulen bisher passiert. 📚
Carl Rogers, der Pionier der humanistischen Psychologie, wusste das bereits in den 50er Jahren: "Das Individuum hat in sich selbst große Ressourcen für Selbstverständnis und für konstruktive Veränderung seines Selbstkonzepts, seiner Grundhaltungen und seines selbstgesteuerten Verhaltens."
Und hier kommt eine Persönlichkeit ins Spiel, die ich während meines Masterstudiums in Design an der HKB entdeckte: Don Norman, der Guru des nutzer:innenzentrierten Designs. Er zeigt, dass Lösungen von den betroffenen Personen selbst kommen müssen. Der Ansatz muss sein, Lösungen "mit" den Begünstigten zu schaffen, nicht "für" sie. 🎨
Norman entwickelte seinen eigenen Rahmen weiter zum "Humanity-Centered Design". Es geht nicht mehr nur darum, das unmittelbare Problem der Nutzer:innen zu lösen, sondern die systemischen Auswirkungen auf Gemeinschaften, Gesellschaften und zukünftige Generationen zu berücksichtigen. Genau das schaffen wir mit Reconnect. 🌍
Von Coach zu Facilitator: Der Paradigmenwechsel
Als Coach war meine Aufgabe, Probleme zu diagnostizieren und Lösungen zu verschreiben. Kurz gesagt, ich war der Experte mit den Antworten.
Als Facilitator ist meine Aufgabe jetzt, die Bedingungen zu schaffen, damit jede Person/Organisation ihre eigenen Antworten entdeckt. Meine Aufgabe ist es, die Leinwand vorzubereiten, die Pinsel zu organisieren und das förderliche Umfeld zu schaffen. Jede Person ist der:die Künstler:in, der:die sein:ihr eigenes Meisterwerk malt. 🎭
Der Unterschied ist radikal:
Coach: "Ich werde dir beibringen, wie du das machst"
Facilitator: "Ich werde dich begleiten, während du entdeckst, wie du es machen möchtest"
Paulo Freires Studien in "Pädagogik der Unterdrückten" zeigen, dass "Bankiers"-Bildung (wo der:die Lehrer:in Wissen in den:der Schüler:in deponiert) Abhängigkeit und Passivität erzeugt. Befreiende Bildung, wo Facilitator:in und Schüler:in gemeinsam Wissen schaffen, erzeugt Autonomie und Transformation.
"Bildung verändert nicht die Welt, sie verändert die Menschen, die die Welt verändern werden." Paulo Freire 💫
Das Schönste daran ist, dass sowohl der:die Facilitator:in als auch der:die Teilnehmer:in kontinuierlich lernen, und im Austausch von Reflexion und Aktion geschieht die Transformation.
Die Reconnect-Methodologie in Aktion
In unseren Workshops kommen wir nicht mit einem festen Curriculum. Wir kommen mit einem Rahmen von Möglichkeiten. 🛠️
Der Prozess ist einfach, aber revolutionär:
Jede:r Jugendliche identifiziert seine:ihre echte Herausforderung (nicht die, von der wir glauben, dass er:sie sie haben sollte)
Gestaltet seine:ihre eigene Herangehensweise (mit unserer Facilitation, nicht Instruktion)
Erschafft seine:ihre eigenen Werkzeuge und Strategien (angepasst an seine:ihre Persönlichkeit und seinen:ihren Kontext)
Definiert seine:ihre eigenen Erfolgsmetriken (die ihm:ihr wirklich wichtig sind)
Mitchel Resnicks Forschung am MIT über "kreatives Lernen" bestätigt, dass sich das Engagement exponentiell multipliziert und die langfristige Retention dramatisch steigt, wenn Menschen ihre eigenen Lernwerkzeuge schaffen. 🔬
"Der beste Weg, Kinder auf die Zukunft vorzubereiten, ist ihnen zu helfen, ihre Fähigkeit zu entwickeln, kreativ zu denken und kollaborativ zu arbeiten." Mitchel Resnick
Über die Gegenwart hinaus
Aber hier kommt Normans Humanity-Centered Design ins Spiel. Wir lösen nicht nur die unmittelbaren akademischen oder emotionalen Probleme dieser Jugendlichen.
Wir befähigen sie für den Rest ihres Lebens. 🌟
Wenn ein:e Jugendliche:r lernt, seine:ihre eigenen Lernstrategien zu gestalten, verbessert er:sie nicht nur seine:ihre Noten. Er:sie entwickelt Metakognition, kritisches Denken, Vertrauen, das ihm:ihr in seiner:ihrer beruflichen Laufbahn, in seinen:ihren Beziehungen, in seiner:ihrer zukünftigen Elternschaft dienen wird.
Carol Dwecks Längsschnittstudie über "Growth Mindset" zeigt, dass Menschen, die lernen zu lernen – die Vertrauen in ihre Fähigkeit entwickeln, Lösungen zu schaffen – größere Resilienz, Kreativität und Wohlbefinden ihr ganzes Leben lang haben.
Der systemische Effekt
Wenn diese Jugendlichen in ihre zukünftigen Jobs kommen, kommen sie nicht als Angestellte, die auf Anweisungen warten. Sie kommen als Co-Creator:innen, die innovative und nachhaltige Lösungen gestalten können. 💼
Wenn sie ihre Familien gründen, replizieren sie keine autoritären Bildungsmuster. Sie schaffen Umgebungen des gegenseitigen Wachstums.
Wenn sie persönliche oder berufliche Krisen bewältigen, suchen sie keine externen Guru:innen. Sie vertrauen auf ihre innere Fähigkeit, angemessene Lösungen für ihre Gegenwart zu generieren.
Margaret Wheatley dokumentiert in "Leadership and the New Science", wie sich Systeme von innen transformieren, wenn ihre Mitglieder:innen Selbstorganisationsfähigkeit entwickeln. Genau das kultivieren wir für dieses Land und möglicherweise für weitere. 🔄
Mein Weg als Facilitator
Meine Rolle als Facilitator ist nicht, der:die Weise auf der Bühne zu sein. Sondern der:die Begleiter:in an der Seite. Das war eine harte Lektion, die ich zu integrieren bereit war, da mein Ego immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und Anerkennung stehen wollte. 🎪
Ich stelle Ressourcen zur Verfügung, wenn sie sie brauchen. Ich stelle Fragen, die Möglichkeiten eröffnen. Ich schaffe Dynamiken, die Lösungen hervorbringen. Ich schaffe psychologische Sicherheit, damit sie experimentieren und scheitern können. Ich feiere ihre Entdeckungen, als wären sie meine.
Amy Edmondsons Forschung in Harvard über Hochleistungsteams bestätigt, dass die besten Ergebnisse entstehen, wenn der:die Leader:in als Facilitator:in der kollektiven Intelligenz agiert, nicht als einzige Quelle der Weisheit.
Die Zukunft der Bildung und Gruppendynamik liegt nicht in besseren Curricula, sophistizierteren Technologien oder fähigeren Leiter:innen. Sie liegt in Facilitator:innen, die so sehr an das menschliche Potenzial glauben, dass sie bereit sind, sich selbst überflüssig zu machen. 🦋
Sie liegt in Teams, die interdependent arbeiten und Lösungen schaffen, bei denen jedes Mitglied zu einer gemeinsamen Vision beiträgt.
Sie liegt in Jugendlichen, die die Schule nicht mit auswendig gelernten Antworten verlassen, sondern mit dem Vertrauen, dass sie die Antworten schaffen können, die die Welt braucht.
Bei Reconnect bilden wir keine Schüler:innen aus. Wir begleiten die Geburt einer Generation von Co-Creator:innen. 🌱
Und das, glaub mir, ist viel mächtiger als jedes Coaching, das ich je in meinem Leben gemacht habe.
💬 Hast du den Unterschied erlebt zwischen dem, dass dir etwas beigebracht wird vs. es selbst zu entdecken? Erinnerst du dich an eine:n Lehrer:in oder Facilitator:in, der:die dich begleitet hat, anstatt dich zu unterrichten? Es fasziniert mich, diese Erfahrungen kennenzulernen, wo jemand so sehr an dein Potenzial geglaubt hat, dass er:sie dir erlaubt hat, deinen eigenen Weg zu finden. Teile deine Geschichte – diese Beispiele illustrieren am besten, warum wir mehr Begleiter:innen und weniger Instruktor:innen in der Welt brauchen. ✨
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